Eine Gruppe von Studenten hatte sich in den Kopf gesetzt, ein Medium zu besetzen. Aber anstatt den Mut zu haben, den hr oder eine andere große Institution zu stürmen, hatten sie es auf unser wackliges Bauwägelchen abgesehen. Wir kannten auch die meisten der Hauptakteure und es wäre ja gar kein Problem gewesen, einfach eine Sendung zu machen, dazu hätten sie nicht das Studio besetzen müssen. Umso schwachsinniger fand ich es, eine Struktur aus dem eigenen Milieu anzugreifen und zu versuchen lahm zu legen, zumal es mit so vielen Leuten auf einmal im Bauwagen knalleng und heiß war. Walter E. Baumann schaffte es, auf seine ruhige und hartnäckige Art die Besetzer live on air letztlich aus dem Bauwagen „rauszutalken“. Nach ca. einer Stunde zog die Crew unverrichteter Dinge wieder ab. Im Nachhinein weiß ich auch gar nicht, was die "Message" dieser Aktion sein sollte. Später haben wir uns wieder mit den Besetzern vertragen, z.B. hat uns Andreas Fanizadeh Jahre später die Abdruckerlaubnis zu einem Mumia Abu Jamal-Text für das Programmheft von Radio X gegeben.

Aber das war nicht die einzige Besetzung. Drei Tage nach Sendestart tauchte eine Gruppe Polizisten auf: Die Deutsche Bundespost hatte sie geschickt, weil der Verdacht auf einen illegalen Sender bestand. Es war schwer, die Beamten selbst mit unserem hochoffiziellen Dokument davon zu überzeugen, dass wir mit Erlaubnis des hr unter dessen sendeten. Da wusste die Deutsche Polizei wohl nicht was die Bundespost tat. Wer stellt sich schon auf eine so öffentlichen Platz wie vor dem Portikus, wenn er einem Piratensender machen will? Und wieso brauchte die Behörde drei Tage, um uns „aufzuspüren“?

Kunstradio 1988

Für mich persönlich der schlimmste Moment während des Kunstradios trat ein, als ich ganz alleine im orangefarbenen Bauwagen zur Vorbereitung des Sendebetriebs war und draußen auf einmal alles gelb wurde. Ein riesiger Postlaster, Teil eine Konvoys, hatte sich etwas verpeilt, konnte weder vor noch zurück und musste sich dann millimeterweise am Studio entlang manövrieren. Das dauerte etliche Minuten und manchmal passte zwischen Bauwagen und Postlaster gerade noch eine Vinylscheibe.

Während dieser Zeit machte das Gerücht die Runde, ich sei in Wirklichkeit sehr reich und würde so das Radio finanzieren, was natürlich überhaupt nicht stimmte. Kaspar König gab uns 5000 DM für das Projekt. Zu meiner Überraschung bewilligte Wolfgang Gerhard, damals Minister für Wissenschaft und Kunst in Hessen, uns ebenfalls 5000 DM für das Kunstradio. Auch die Stadt Frankfurt unterstützte uns. Die Einnahmen reichten gerade, um alle Kosten zu decken; den Großteil davon machten die Sendekosten der Deutschen Bundespost aus.

Walter Baumann hatte die schöne Idee für eine akustische Stadtrundfahrt, die dann live im Radio zu hören sein sollte. Der sehr eloquente und witzige Micky Remann war die richtige Person für eine solche Reportage.

Micky war sofort begeistert und kannte zum Glück jemand mit einem Autotelefon. Handys gab es damals noch nicht, wohl aber Autotelefone. Diese akustische Roadmap von Frankfurt war jedenfalls eines der Highlights des Kunstradios. Es ist auch heute noch spannend, Mickys guided tour durch die Stadt zu lauschen, die zum „Finale Grande“ am letzten Sendetag gehörte. Bald folgte dem Radio X-Mobil ein kleiner Autocorso aus begeisterten Radio X Hörern. Die Stadtrundfahrt endete vor dem Portikus, wo die ergreifenden letzten Minuten des Kunstradios live über die Bühne gingen: Oliver Augst hatte einen Chor auf den Stufen des Portikus platziert und dirigierte ein Stück. Wir hängten unsere Mikros dem Bauwagen heraus und übertrugen so das Stück im Radio. Ein schöneres Ende für das Kunstradio hätte es eigentlich nicht geben können. Wir waren sehr ergriffen und ganz traurig, dass die zehn Tage vorbei waren, obwohl alles so irrsinnig anstrengend war.

Damals konnten wir noch nicht ahnen, dass es fast zehn Jahre dauern würde, bis Radio X dauerhaft auf Sendung gehen konnte.

•  09. April 2011